Bundesverwaltungsgericht zu „All genders welcome“

Das Bundesverwaltungsgericht hatte 2022 über einen Fall zu entscheiden – und bevor ihr jetzt vor Langeweile weg klickt, lest bitte den Satz bis zum Ende! – in dem es darum ging, ob eine vergebene Soldatin auf Tinder aktiv nach Sexpartner:innen suchen darf.

Erstmal ein bisschen zu dem Sachverhalt, über den das Gericht zu entscheiden hatte:

Die Beschwerdeführerin – d.h. die Person, die einen Fall vor das Bundesverwaltungsgericht bringt – sei Berufssoldatin und genieße überregionale Bekanntheit als erste transgeschlechtliche Bataillonskommandeurin der Bundeswehr. Mit Disziplinarverfügung vom 01.08.2019 verhängte ihr damaliger Disziplinarvorgesetzter gegen sie einen Verweis mit folgendem Vorwurf (der zugegeben sehr juristisch klingt!):

Sie habe zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt, jedoch nicht vor dem 20.3.2019, und an einem nicht mehr feststellbaren Ort das als Anlage beiliegende Foto mit dem folgenden Text „Anastasia 45 spontan, lustvoll, trans, offene Beziehung und auf der Suche nach Sex. All genders welcome“ bei der Dating-App Tinder eingestellt. Dies solle sie unterlassen.

So viel zu der Ausgangslage, die mich doch auch ein bisschen zum Schmunzeln bringt. Das Thema ist aber natürlich sehr ernst und wichtig, daher möchte ich hier darüber sprechen. Die Soldatin hat Beschwerde gegen diesen Verweis erhoben, aber hatte vor dem Dienstgericht keinen Erfolg. Das bedeutet: Das Gericht fand es okay, dass mit diesem Verweis derart in ihre Privatsphäre eingegriffen wurde. Stellt euch den Fall mal vor, wenn es um einen weißen cis-Mann gehen würde. Die Soldatin wollte die Gerichtsentscheidung nicht hinnehmen und zog vor das Bundesverwaltungsgericht. Bei allem, was folgt, müsst ihr im Hinterkopf behalten, dass es um eine Beamtin mit gewissen Treuepflichten gegenüber dem Staat, aber eben auch um eine Privatperson mit dem Recht auf sexuelle Freiheit geht.

Und immerhin hat das Bundesverwaltungsgericht sich aktiv gegen die Wertungen des Dienstgerichts gewendet. Denn von diesem Gericht wurde nur beleuchtet, ob ein:e Soldat:in mit ihrem außerberuflichen Verhalten Anlass dazu gibt, dass das Vertrauen in ihre Person oder ihr Ansehen beeinträchtigt werden kann. Das Bundesverwaltungsgericht hat zurecht klargestellt, dass diese Beeinträchtigung ernsthaft zu befürchten sein muss und damit den Maßstab erhöht. Das Bundesverwaltungsgericht hat auch absolut richtig gesagt, dass die Pflicht einer jeden Beamtin und eines jeden Beamten immer mit den Grundrechten der Person abgewogen werden muss. Und jeder Mensch hat ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, auch darauf, dass die sexuellen Wünsche öffentlich kommuniziert werden können. Das gilt auch für Menschen im Staatsdienst. Denn auch diese Menschen dürfen ihre innersten menschlichen Bedürfnisse haben, wozu natürlich auch ein sexuelles Verlangen gehört.

Im Endergebnis hat aber auch das Bundesverwaltungsgericht den Verweis gegenüber der Soldatin als okay eingestuft. Das Verhalten der Soldatin – die Tinder-Anzeige – lasse an ihrer Integrität zweifeln. Für mich ist das unverständlich. Warum ist das Verhalten der Soldatin mit den Grundsätzen des Berufsbeamtentums unvereinbar? Die Begründung soll sein, dass die Soldatin mit ihren Worten „lustvoll, auf der Suche nach Sex“ und insbesondere mit dem Zusatz „all genders welcome“ ausgedrückt habe, dass sie um jeden Preis sofort Sex wolle. Und mit dieser Grundvoraussetzung sei sie dann nicht mehr geeignet, Disziplinarmaßnahmen gegenüber Menschen zu verhängen, die sexuell übergriffig waren. BITTE WAS? Das Gericht setzt hier konsensualen Sex zwischen Menschen, die bei Tinder nach Sexpartner:innen suchen mit Straftätern gleich! Konsensualer Sex, egal mit wie vielen Parner:innen (zugleich oder zu verschiedenen Zeitunkten) und egal um welche sexuellen Handlungen es sich handelt, ist immer noch konsensual. Menschen, die sexuell übergriffig werden, handeln gerade nicht mit Konsens. Und es ist wirklich krass, dass sexuell offenen Menschen unterstellt wird, dass sie keine oder zumindest eine erheblich eingeschränktere charackterliche Integrität haben.

Und ich frage mich, hätte das Bundesverwaltungsgericht diese Wertung auch dann angestellt, wenn in dem Profil nicht „all genders welcome“ gestanden hätte? Und wenn nicht, ist diese Entscheidung dann nicht diskriminierend gegenüber Personen, die in der Wahl ihrer Sexpartner:innen fluid sind, d.h. dass sie offen für sexuelle Kontakte mit allen (eben auch nicht-binären) Geschlechtern sind? Es ist ja eben nicht so, dass die Person „all genders welcome“ in ihr Tinder-Profil geschrieben hat, um eine möglichst große und sofort verfügbare Auswahl an Sexpartner:innen zu haben. Mich hat dieses Urteil und die darin zum Ausdruck kommenden Wertvorstellungen schockiert. Wer einen detaillierten Kommentar lesen möchte, wird hier zu Legal Tribune Online verwiesen.